Der Frühling ist eine spannende Zeit für den Weinfreund: Die Weißweine des aktuellen Jahrgangs sind nun zum überwiegenden Teil abgefüllt und stehen zum Verkosten in den Probierräumen der Weingüter bereit.

In den Anbaugebieten sieht man dann allerorten Kenner den jungen Wein im Glase prüfend, wie es wohl gelungen sei, die immer wieder aufs Neue verblüffend individuelle Qualität jedes Weinjahres in der Flasche einzufangen. Erfahrene Weinliebhaber nutzen diese Zeit aber auch zur Überprüfung jener Flaschen, die man sich im Vorjahr in den Keller gelegt hat. Denn es ist auch faszinierend mitzuerleben, wie sich der Wein in seinem Lebenszyklus weiterentwickelt hat. Gerade im Vergleich mit dem jung gefüllten Jahrgang zeigt sich diese Entwicklung oft besonders gut. Während der junge Wein mit jugendlichem Überschwang der Aromen verführt, hat der ältere Wein eine wundersame Wandlung gemacht. Die Jugendlichkeit hat Platz gemacht für feinere Noten, der Wein hat an Tiefe und Charakter gewonnen, seine Kanten sind nun harmonisch geschliffen. Fast scheint es, als sei der Wein „erwachsener“ geworden.

Junger Wein und alter Wein

Diesen Charakterwechsel nutzen erfahrene Connaisseurs ganz bewusst, um für den jeweiligen Anlass und die Stimmung einen passenden Tropfen zu haben. So wird wohl zur fröhlichen Gartenparty der junge Wein am besten passen. Aber für ein besinnliches Gespräch oder ein raffiniertes Menü wird eine etwas reifere Flasche die klügere Wahl sein. Die faszinierende Vielfalt unserer heimischen Weine wird also nicht nur von der großen Zahl an Rebsorten, Weinberglagen und Ausbauvarianten getragen, sondern auch durch die allmähliche Wandlung des Weincharakters bei der Flaschenreifung im Keller. Und wer diese aufmerksam verfolgt wird verstehen, dass ein guter Wein mehr ist als nur ein wohlschmeckendes Lebensmittel: Er ist auch eine lebendige Persönlichkeit.

Trauben