Eiswein zählt zu den feinsten, komplexesten und daher auch faszinierendsten Kreszenzen überhaupt. Doch wie entstehen diese Weinraritäten eigentlich?

In den kommenden Wochen werden wieder viele Winzer darauf hoffen, dass ein arktischer Kälteeinbruch möglichst plötzlich und möglichst heftig den Herbst mit einem ersten Frost überzieht. Denn was für unvorbereitete Autofahrer ein Horror ist, ist für so manchen Winzer ein absoluter Glücksfall. In vielen Anbaugebieten ermöglichen die frostigen Temperaturen dann nämlich die Lese von Trauben für einen der faszinierendsten, aber oft auch missverstandendsten Weine, den Eiswein.

Eiswein: Es muss richtig kalt sein

Unter minus sieben Grad muss das Quecksilber anzeigen, bevor man diese Rarität erzeugen darf. Und der so gewonnene Most darf den für eine Beerenauslese vorgeschriebenen Reifegrad nicht unterschreiten. Ungeachtet dieser Fakten ist aber auch das Missverständnis nach wie vor weit verbreitet, dass der knackige Frost nur einmal über die Traube gegangen sein muss – so ähnlich wie man es ja vom Rosenkohl kennt. Die Wahrheit ist aber etwas komplizierter. Die Trauben müssen nämlich nicht nur im gefrorenen Zustand geerntet, sondern auch verarbeitet, das heißt – gepresst werden.

Im Gegensatz zu anderen edelsüßen Weinen, wie der Beerenauslese und der Trockenbeerenauslese, müssen die Beeren für Eiswein vollständig gesund sein und dürfen nicht von Edelschimmel befallen sein.

Der Clou beim Eiswein: ein ganz simpler Konzentrationsprozess

Bei Temperaturen unter minus sieben Grad Celsius– je tiefer desto besser – ist das Wasser in den Beeren gefroren, nicht jedoch der übrige Extrakt, also der Zucker, die Säure und die Aromen. Beim vorsichtigen Pressen dieser Trauben wird folglich das Wassereis in der Kelter zurückgehalten und nur eine kleine Menge eines hoch konzentrierten Elixiers ausgepresst. Dass der daraus gewonnene Wein nun schlichtweg sehr süß ist, ist übrigens das nächste Missverständnis. Eisweine sind zwar stets sehr süß, gleichzeitig aber auch die „sauersten“ Weine überhaupt. Denn wenn dem Traubensaft durch Eiseskälte das Wasser entzogen wird, so konzentriert dies ja nicht nur die Süße, sondern eben auch alle weiteren Inhaltstoffe und somit auch die Säure.

Eiswein kann dreimal mehr Säure enthalten als ein trockener Weißwein

Die Spannung von sehr hoher Süße bei gleichzeitig sehr hoher Säure macht somit einen guten Eiswein zu einem der komplexesten Geschmackserlebnisse. Um solche Weine zu keltern, müssen die Winzer aber ein großes Risiko eingehen und oftmals die Trauben sehr lange am Stock hängen lassen – was für ein weiteres Missverständnis sorgen könnte. Denn nicht selten können Eisweine auch erst nach Silvester, also im neuen Jahr geerntet werden. Doch welchen Jahrgang soll man dann bei diesem Weinen auf dem Etikett angeben, wenn er erst in nächsten Jahr geerntet wird? Tatsächlich ist es so, dass auch die Eisweine, die erst im Januar 2024 geerntet werden, dennoch den Jahrgang 2023 auf dem Etikett tragen. Denn hierfür zählt das Jahr des Wachstums, nicht der Termin der Lese. Kein Missverständnis ist hingegen, dass es tatsächlich auch Winzer gibt, die das Ausfallrisiko bei einer solch späten Lese auf kurzem Wege umgehen und schlichtweg die Trauben vor dem Pressen in der Tiefkühltruhe einfrieren. In Deutschland ist dies natürlich undenkbar und streng verboten, in Ländern der Neuen Welt, allen voran in Neuseeland, jedoch durchaus üblich.